Der schnell mahlende Müller aus Bern
Verfasser: MR | Veröffentlicht: Oktober 2021
Heute stelle ich Ihnen eine Gemeinde vor, die der Zeit voraus ist. Respektive eine Gemeinde, die, wie in meinem ersten #Autogramm geschildert, gereift ist – und dies ausgerechnet im «langsamsten Kanton der Schweiz», in Bern. Nicht nur die Kambundji-Schwestern widersprechen dem Klischee, zu den ganz schnellen gehört auch Bänz Müller, Gemeindepräsident der Gemeinde Wohlen b. Bern.
Natürlich sprintet er nicht mit den Weltbesten an der Olympiade mit. Aber Bänz Müller und der gesamte Wohlener Gemeinderat sind in der Nachhaltigkeits-Politik und ganz besonders in der Entscheidungsfindung viel flotter unterwegs, als es die meisten Gemeinden in der Schweiz sind. Von der ersten Präsentation unserer Sponti-Car-Idee im Januar 2020 bis zur Umsetzung verging gerade mal ein halbes Jahr. Im gleichen Tempo beschloss die Gemeinde 2021 auch einen zweiten Standort in Hinterkappelen, nächstes Jahr soll ein dritter folgen. Wie kommt es, dass mit dem Müller in Wohlen die politischen Mühlen so viel schneller als gewohnt mahlen? Also sprach ich mit Gemeindepräsidenten Bänz Müller.
Mark Ritzmann: Die Gemeinde Wohlen hat Sponti-Car in sehr kurzer Zeit beschlossen und umgesetzt. Wieso mahlen die Mühlen in Wohlen schneller?
Bänz Müller: In Wohlen sind die Themen Energie und erneuerbare Energien Chefsache.
Die Zuständigkeit aufs Präsidium zu legen war eine bewusste Entscheidung des Gemeinderats, denn diese Themen sind für uns elementar. Und da das viel Arbeit macht, hatte es Sinn, es dem Gemeindepräsidium zu unterstellen, denn das ist das einzige Vollamt im Gemeinderat.
Gibt es noch andere Gründe?
Wohlen ist generell sehr energieaffin. Wir haben schon seit 20 Jahren das Label «Energiestadt» und sind unterdessen mit dem Gold-Label zertifiziert, der höchsten europäische Auszeichnung. Wir sind also einerseits so schnell, weil das Thema Chefsache ist und die Entscheidungswege entsprechend kurz sind. Und andererseits, weil sowohl der Gemeinderat als auch die zuständigen Verwaltungsmitarbeiter eine grosse Energieaffinität haben, so zu sagen aufs Thema geeicht sind.
In meinem Letzten Beitrag habe ich den oft gehörten Spruch, dass «die Zeit noch nicht reif» sei, aufgegriffen. Warum war die Zeit für ein Car-Sharing in Wohlen gleich an zwei Standorten reif?
Nächstes Jahr kommt noch ein dritter. lacht Es geht uns nicht nur darum, den Menschen auf einfache Art Elektromobilität näher zu bringen, damit sie selbst umsteigen. Wir wollen besonders auch das Car-Sharing an und für sich fördern. Es ist ja auch nicht sinnvoll, wenn dann jeder seinen Benziner gegen ein Elektroauto eintauscht und gleich viele Wagen wie heute herumstehen.
Was hat sich die Gemeinde von Sponti-Car versprochen?
Wir fördern Car-Sharing schon seit vielen Jahren, etwa mit Mobility, das wir quersubventionieren. Aber wir haben das Gefühl, dass das Car-Sharing von Sponti-Car niederschwelliger und einfacher ist. Deshalb haben wir unser Engagement von Mobility zu Sponti-Car verlegt. Und als wir gemerkt haben, dass der erste Sponti-Car sehr gut genutzt wird, wussten wir, jetzt müssen wir Gas geben.
Wir hatten uns erhofft, dass die Bevölkerung das E-Auto nutzt, aber nie damit gerechnet, dass das Bedürfnis gleich so gross ist.
Wenn ich nationale Debatten verfolge, erlebe ich oft entgegengesetzte Positionen zu Klimapolitik und Ökologie. Der aktuelle Wohlener Gemeinderat bildet das gesamte Spektrum der politischen Parteien von der SP bis zur SVP ab. Wie funktioniert das?
Es gibt natürlich Diskussionen, sowohl in der Bevölkerung als auch im Gemeinderat. Wie weit soll man gehen? Ist das zur Verfügung Stellen eines Elektro-Autos Aufgabe des Staats? Die Antwort ist eigentlich «nein». Aber es ist Aufgabe des Staats, die Bevölkerung zu sensibilisieren, und wir haben im Gemeinderat energieaffine Mehrheiten, die weit ins Bürgerliche Lager reichen. Wir haben eine Energiestrategie und Energierichtplan, beide längst erarbeitet, und das wird vom Gesamtgemeinderat getragen. So lange ich es nicht mit meinen Forderungen und Ideen übertreibe, bekomme ich auch die nötigen Mehrheiten oder gar Einstimmigkeiten. lacht
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Ich danke Bänz Müller und der gesamte Gemeinde Wohlen b. Bern für die Zusammenarbeit und freue mich auf weitere Projekte.
PS: Ein Schelm, wer nun vor lauter Tempo an einen Frühstart denkt – die beiden Standorte in Hinterkappelen und Uettligen gehören zu den meistgebuchten Sponti-Cars in der gesamten Schweiz.
Wohlen bei Bern
Drei Dörfer und verschiedene Weiler bilden zusammen die Gemeinde Wohlen b. Bern. Die hauptsächliche Konzentration der Wohnbevölkerung verteilt sich über Wohlen, Uettligen und Hinterkappelen. Stand 31.12.2020 lebten 9302 Einwohnerinnen und Einwohner in der Gemeinde. In Uettligen wurde der Sponti-Car im Juni 2020 eingeführt. In den ersten 6 Monaten konnten 268 Buchungen verzeichnet werden. In Hinterkappelen steht der Sponti-Car seit Anfang Juli 2021 zur Verfügung; bereits Ende September nutzte die Bevölkerung das E-Auto 161 Mal.
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