Das Mobilitäts-Orakel – Sieben Prophezeiungen für die Zukunft
Verfasser: MR | Veröffentlicht: Oktober 2022
Redaktion: Christine D`Anna
Jahrelang hat uns Erika Bertschinger, alias Uriella, mit apokalyptischen Prophezeiungen köstlich unterhalten. Mike Shiva, leider ebenfalls verstorben, Volksorakel und wohl letzter Stirnbandträger der Neuzeit, machte als «National-Orakel» Karriere. Beide Persönlichkeiten werden heute schmerzlich vermisst. Sie dienten hervorragend als Vorlage für Parodien (Victor Giacobbo als Uriella und Mike Müller als Mike Shiva), Fasnacht-Verkleidungen und Schnitzelbank-Sprüche.
Natürlich masse ich mir nicht an, den Platz als «Schweizer National-Orakel» einzunehmen oder in wallend-weissen Gewändern den nächsten anstehenden Weltuntergang zu proklamieren.
Allerdings wage ich mit diesem Blog einen Blick in die Zukunft der Mobilität und prognostiziere sieben massive Veränderungen, die uns in nicht allzu ferner Zukunft erwarten. Diese Erkenntnisse sind mir auch nicht beim Kartenlegen, Kaffeesatzlesen oder Meditieren in «hellsehender Tiefentrance» gekommen. Es ist vielmehr die Quintessenz aus einer Vielzahl von hoch interessanten Gesprächen mit Mobilitäts-Akteuren sowie Profis und anerkannten Experten aus der Mobilitätswelt.
Die Mobilität ist einer jener Lebensbereiche, welche sich in den nächsten Jahren massiv verändern werden. In der näheren Zukunft werden wir zwar immer noch Bus, Zug und Auto fahren. Trotzdem wird sich vieles für alle Beteiligten radikal verändern:
EINS
Der fossilbetriebene Verbrennungsmotor wird abgelöst durch batterieelektrische oder Brennstoffzellen-Systeme. Die meisten Hersteller haben die vollständige Umstellung der Produktpaletten bereits ab 2030 angekündigt.
ZWEI
Beim Fahrzeugbesitz zeichnet sich bereits eine Änderung ab. Abo-Modelle werden im Autohandel immer wichtiger. Kundenbedürfnisse verlagern sich bereits vom Fahrzeugbesitz weg zum Fahrzeug-Abo. Wir besitzen nicht mehr was wir fahren.
DREI
Die individuelle Mobilität wird teurer. Nur über eine Preissteigerung im Sinne von Road Pricing oder ähnlichen Modellen für mehr Kostenwahrheit in der Mobilität kann das steigende Verkehrsaufkommen gesteuert werden. Bezahlt wird in Zukunft für’s Fahren und nicht für’s Besitzen.
VIER
Die Innenstädte werden autofrei! Mit verkehrsbefreiten Begegnungszonen werden die Stadtzentren aufgewertet. Das Auto verschwindet mehrheitlich aus dem Stadtbild. Die neu gewonnenen Flächen aus Strassen und Parkräumen werden zu Spielplätzen, Restaurantterrassen, Eventräumen für Veranstaltungen und Grünflächen für ein besseres Stadtklima. Musterbeispiel hierfür findet sich in Wien (Siehe Link am Ende des Artikels).
FÜNF
Was in den Städten bereits Realität ist, wird auch in der Agglomeration Einzug halten. Zunehmend wird nicht nur ein Verkehrsmittel, meistens das eigene Auto, sondern das jeweils passende Verkehrsmittel gewählt. Das kann der Bus sein, der Zug, ein E-Bike oder ein Car-Sharing-Fahrzeug. Immer mehr nimmt der Konsument ganz spezifische Angebote wahr, die genau seinen aktuellen Bedürfnissen entsprechen. Die Bevölkerung bewegt im urbanen und suburbanen Raum multimodal.
SECHS
Die oben erwähnte Multimodalität benötigt einen zentralen Baustein: Die «All-in-One-Verkehrsapp». Es werden sich Applikationen durchsetzen, welchen den Zugang zu allen verfügbaren Verkehrsmitteln ermöglichen. Eines der wichtigsten Projekte in diesem Bereich verfolgt die Genossenschaft Open Mobility, welche die technischen Voraussetzungen und übergreifende Standards dafür schafft. Alle namhaften Akteure im Schweizer Verkehr beteiligen sich an diesem Projekt.
Wie bei bei allen Prophezeiungen, ob durch Tarot-Karten-Legen, Kaffeesatzlesen oder Sternegucken, ist ihre Erfüllung. Ohne den Mut und den Willen einer Vielzahl von Menschen, wird sich diese fantastische Zukunft der Mobilität nicht verwirklichen lassen. Ob Politikerinnen und Politiker, Unternehmerinnen und Unternehmen oder Kunden: Alle müssen an die Vision glauben und gemeinsam daran arbeiten.
Mike Shiva, Elisabeth Teissier oder Uriella brauchen wir nicht. Wir brauchen auch keine Visionäre wie Elon Musk oder Steve Jobs. Es braucht nur den Mut und Willen die bestehenden Pfade zu verlassen und sich auf neue Möglichkeiten einzulassen. Es braucht die Unternehmen, die bereit sind, ihre bestehenden Geschäftsmodelle in diese Richtung anzupassen. Es braucht Kunden die bereit sind, auf ihr (Zweit-)Auto zu verzichten und auf neue Verkehrsmodelle umsteigen. Und es braucht die Gemeindepräsidentin, die ein Mobilitätsangebot wie Sponti-Car in ihrem Dorf lanciert. Es braucht uns alle!
Post Scriptum: Sieben
Dem aufmerksamen Leser ist bestimmt nicht entgangen, dass sieben angekündigt aber nur sechs Prophezeiungen aufgeführt sind. Wie bei jeder richtigen Prophezeiung darf auch bei meiner das Apokalyptische nicht fehlen. Mir ist bewusst, dass ich mit dieser Aussage einige meiner Kollegen vor den Kopf stossen werde. Als Direktbetroffener, aufgewachsen in einem Garagen-Familienbetrieb, erlaube ich es mir aber trotzdem diese Prophezeiung zu machen.
Die beschriebenen Visionen der Mobilität von morgen, mag sie gesellschaftlich und ökologisch auch noch so wichtig sein, hat verheerende Auswirkungen auf das Automobilgewerbe. insbesondere auf die klassischen Garagenbetriebe im Verkauf und Aftersales. Dieses steht vor einem nie dagewesenen Umbruch. Man kann von einer Apokalypse sprechen.
Die meisten Autogaragen, Spengler und Lackierer oder Ersatzteilzulieferer verlieren ihre geschäftliche Grundlage. Eine grosse Anzahl an Automechanikern, Carrosserie-Spengler, Auto- und Ersatzteilverkäufern werden ihren Job verlieren.
Das Auto der Zukunft wird nicht mehr über den jetzigen Handel zum Kunden finden. Die neuen Besitzmodelle wie Abo oder Car-Sharing und der Direktvertrieb durch den Importeur verändern die Kundenbeziehung radikal. Die neuen Antriebskonzepte haben nur noch ein Bruchteil der Servicekosten der aktuellen Verbrennungsmotoren. Allen Firmen, die heute Geld mit Servicearbeiten an Personenwagen verdienen, steht eine düstere Zukunft bevor. Das Autogewerbe, wie es heute in jeder Dorfgarage gelebt wird, wird es mittelfristig sehr schwer haben. Für einen grossen Teil dieser Firmen ist die Mobilität der Zukunft das Ende einer Ära.
Und der Beginn einer neuen: Der letzte einschneidende Umbruch in der Mobilität fand vor etwa 100 Jahren statt, beim Wechsel von Pferdekutschen auf «Automobile». Aus den damaligen Dorfschmieden entstanden die heutigen Garagisten. Die Geschichte lehrt uns: Solche einschneidenden Veränderungen stellen grosse Herausforderungen dar. Sie können aber auch grosse Chancen sein.
Soweit meine persönliche Meinung. Gerne möchte ich auch Ihre Meinung erfahren. Setzen Sie ein Zeichen, oder am liebsten gleich mehrere Zeichen in Form ganzer Sätze als Kommentar unter unseren Blog #autogramm.
SRF -Mike Shiva: Weltuntergang
Wien – Mariahilferstrasse wird zur Begegnungszone
Quellen
YouTube: SRF – Giacobbo Müller
www.begegnungszonen.or.at/details.php?Projektnummer=60
Der Blog entlockt Gedankengänge. Wo werden sich die Halden befinden auf denen die 4.8 Mio Verbrenner der Schweiz bzw. die ca. 50 Mio PW von DE entsorgt werden? Ein PW benötigt ca. 12 – 15 m2 Fläche. Wie viele Fussballfelder wären es?
Wird die WTO mit ihrem weltumspannenden Netzwerk für die Entsorgungs-Logistik einspringen und gleichzeitig ein humanitäres Programm aufstellen? Honi soit qui mal y pense!
Zeitaspekt. Aktuell werden in CH pro Jahr netto ca. 250’000 Neuwagen / Jahr gekauft. Quiz – wie lange dürfte es dauern, bis die 4.8 Mio PW-Verbrenner ersetzt wären, wenn ab nächstem Jahr, rein theoretisch wohlverstanden, 200’000 E-Fhz / Jahr gepostet würden?
Lichtblick – bei der Sendung «Höhle der Löwen» werden die Löwen Tobias R. und Roland B. zusammen CHF 3.2 Mio, mit 21% Firmenanteil, in ein Start up investieren. Das Tüftler-Team hat einen kostengünstigen Umbausatz entwickelt um Verbrenner auf synthetischen Brennstoff bzw. Wasserstoff umzurüsten. na also geht doch . . .
Freue mich hier weitere Gedankengänge zu lesen?
Guten Tag Herr Häberli
Vielen Dank für den Input. Ich werde gerne hierzu noch einiges recherchieren.
Mit den allerbesten Grüssen